Dass die Landesregierung beim Thema Unterrichtsversorgung andere Informationen an die Öffentlichkeit kommuniziert als die Wirklichkeit an niedersächsischen Schulen tatsächlich widerspiegelt, dürfte dem Wähler mittlerweile zunehmend klarer werden, sagen die Bildungspolitiker Oliver Wempe und Dr. Heinrich Kalvelage von den FREIEN WÄHLERN.
In der vergangenen Woche stellte Kultusminister Tonne das sogenannte Lehrkräfte-Gewinnungspaket vor. Laut eigener Aussage möchte er die „Fachkraftgewinnung aktiv gestalten“. Zitat: 'Dieses Paket ist sehr weitreichend und wird sich als wirksam erweisen. Übergeordnetes Ziel ist, so viele qualifizierte Menschen wie möglich an unsere Schulen zu bringen. Wir greifen jetzt zu auf dem Markt der klugen Köpfe zum neuen Schuljahr und stellen die Weichen für die Zukunft.“
Man weiß nicht, ob es ein Offenbarungseid der Landesregierung oder eine bildungspolitische Spezialoperation des Kultusministers ist. Wenn man sich einfach nur die Zahlen ansieht ( 730 neu eingestellten Lehrkräften stehen 32000 neue Schüler und Schülerinnen gegenüber), stellt man fest, dass für eine zusätzlich eingestellte neue Lehrkraft definitiv fast 44 zusätzliche Schüler und Schülerinnen an niedersächsische Schulen kommen.
Das Schüler- / Lehrerverhältnis verschlechtert sich also deutlich. Kultusminister Tonne behauptet in der Pressemitteilung des Kultusministeriums vom 26.6.22 das Gegenteil. Weiter geht es damit, dass 3000 Lehrkräfte, für das Land seit Beginn der Legislaturperiode gewonnen wurden, also ca. 600 pro Jahr. Dass ungefähr genauso viele Lehrkräfte durch den Ruhestand ausgeschieden sind, wird dagegen verschwiegen.
Vollkommen überrascht zeigt sich Tonne gegenüber der deutlichen Zunahme von Schülerinnen und Schülern, so in seiner Rede vorm Niedersächsischen Landtag am 29.6.22. Bei den zusätzlich neu an die Schule gekommenen ca. 16 000 Kindern aus der Ukraine, kann man das noch nachvollziehen. Dass aber steigende Geburtenzahlen und sogenannte Flexikinder (durch Corona später eingeschulte Kinder) plötzlich und unerwartet für die andere Hälfte der Zunahme sorgen, hätte man kommen sehen können.
Zum Anwerben neuer Lehrkräfte stellt Tonne mehrere zweifelhafte Strategien vor. So soll es ermöglicht werden, durch die Einstellung von Studierenden und Pensionärinnen und Pensionären, zusätzliche Unterrichtsstunden zu generieren. Mit einem befristeten Prämiensystem sollen für Bewerber Anreize geschaffen werden, in der zweiten Einstellungsrunde offene Stellen anzunehmen. Für Quereinsteiger sollen die Hürden gesenkt werden. Lehramtsreferendare sollen statt schriftlicher Prüfungen mehr Unterrichtsstunden erhalten. 'Damit stärken wir die angehenden Lehrkräfte in der pädagogisch-didaktischen Praxis und gewinnen gleichzeitig hochwertige Unterrichtsstunden hinzu.'
Was ist denn das für eine Kehrtwende? Nachdem man jahrelang die Hürden in der Lehrerausbildung immer höher gesetzt hat, will man plötzlich auf Qualitätssicherung verzichten und das als Lösung des Problems verkaufen.
Ob das Absenken von Qualifikationshürden auch von Quereinsteigern und die Einstellung von Studenten zu mehr Unterrichtsqualität führt darf bezweifelt werden. Wie man dann trotzdem die Unterrichtsqualität sichern will, lässt Tonne offen. Das eigentliche Problem nämlich, die seit Jahrzehnten vernachlässigte Ausbildung von Lehrkräften, (Niedersachsen bildet schon länger weniger Lehrkräfte aus als benötigt werden,) wird überhaupt nicht erwähnt und stellt für die Landesregierung anscheinend auch keinen Handlungsbedarf dar.
Grundsätzlich sind alle Mängel, die durch fehlende Lehrkräfte hervorgerufenen Defizite in der Unterrichtsversorgung jetzt vorliegen, hausgemachte Probleme der Landesregierung und des Kultusministers. Über Jahre hinweg wurden die tatsächlichen Zahlen geschönt und vernebelt. Das grundsätzliche Problem, genügend Lehrkräfte auszubilden und Voraussetzungen zur Einstellung zu schaffen, ist bis heute nicht erkannt. Dabei liegen mögliche Lösungsstrategien vor. Auf den jüngsten Vorschlag des Philologenverbandes, in einem neu geschaffenen Bildungsministerium Schulbildung und Lehrerausbildung zusammenfassen, wurde überhaupt nicht reagiert.
Die FREIEN WÄHLER fordern deswegen:
- die vollkommene Offenlegung des Ist- und Sollzustandes bei der Unterrichtsversorgung,
- die umgehende Einrichtung von mehr Studien- und Seminarplätzen für das Lehramt,
- die deutliche Entlastung von Grundschullehrerinnen und -lehrern,
- die Neuschaffung eines Bildungsministeriums, in dem Schulbildung und Lehrerausbildung koordiniert
werden können.